Gleisgeschichten: Der letzte Mann vom Südbahnhof

19. 08. 2025

40 Jahre Eisenbahngeschichte stecken in Michael Rohorzka, Betriebsmanager am Wiener Hauptbahnhof.

Michael Rohorzkas Büro befindet sich im „Elektronischen Stellwerk“, ein Betriebsgebäude südlich des Wiener Hauptbahnhofs. An seiner Tür sorgen ein paar Aufkleber für ein erstes Lächeln. Drinnen im Büro staunt man ob der gigantischen Pflanze, deren Ausläufer zum Teil an der Decke festgezurrt ist.

Später wird einem Michael erzählen, dass der Ficus stolze 16 Jahre alt ist. Doch gerade erklärt Michael einer jungen Kollegin das Ausfüllen eines Formulars – Zeit, sich umzusehen.

Besonders ins Auge stechen ein Rapid-Schal, ein Hemmschuh, ein Schlafsack ("Falls wir einen Notfall haben und der Dienst länger dauert.“), Bilder von Frau und Enkelkind sowie zig Reinigungsutensilien.

Seit 40 Jahren Eisenbahner

In 40 Jahren Eisenbahnerleben sammeln sich nicht nur allerhand Gegenstände an, auch Erinnerungen. 1985 beginnt Michael nach seiner Matura am Südbahnhof in der Verwaltung. Gleichzeitig mit dem Bahneintritt wird er Mitglied in sämtlichen Vereinen: Eisenbahnersportverein, Waisen- und Unterstützungsverein und der Gewerkschaft. Bald wird Michael Fahrdienstleiter, zuerst an seinem Heimatbahnhof Bad Erlach, der mittlerweile ein Vintage Café ist, später in Pfaffstätten, 1990 kommt er zurück an den Südbahnhof. Damals hieß seine jetzige Funktion noch Aufsichtsbeamter. „Und das, obwohl ich nie Beamter war!“, schmunzelt Michael.

Als nunmehriger Betriebsmanager ist er der Vorgesetzte von 18 Leuten, zuständig für 12 Verkehrsstationen, und als Arbeitnehmer:innenschutz Paragraph 3.6. Person verantwortlich für Begehungen und Unterweisungen.
„Die Bürozeit habe ich am wenigsten gern, ich verbringe die Zeit lieber bei den Mitarbeiter:innen draußen an meinen Verkehrsstationen.“ 

Seine Philosophie für eine gelungene Zusammenarbeit – „Man muss etwas von sich preisgeben, damit eine Beziehung funktioniert“ – wurde 2011 bei einer ÖBB internen Kampagne aufgegriffen. – Ein Plakat aus dieser Zeit hängt an seiner Bürotüre.

Als jemand, der „Gott und die Welt am alten Südbahnhof kannte“ ist Michael natürlich beim Bau des neuen Hauptbahnhofs mittendrin statt nur dabei gewesen. Den alten Kopfbahnhof betrieblich zu schließen, zählte zu seinen Aufgaben.

Auf die letzte Zugfahrt ausgehend vom alten Südbahnhof am 12. Dezember 2009 blickt er leicht wehmütig zurück: „Da und dort sind schon ein paar Tränen gekullert.“ Medienberichte von damals hängen im Gang vor Michaels Büro.

Stolz und froh ist der Routinier darüber, dass „bei der riesigen Baustelle das Budget eingehalten wurde und nur wenige Fehler passiert sind.“ Dass inmitten eines Sturmtiefs ein Kran auf die Gleise stürzte, lässt Michaels Puls heute noch in die Höhe schießen: „Die vier Tage, die es gebraucht hat, um alles wieder ins Laufen zu bringen, waren die härtesten in meinem Eisenbahnerleben!“ 

Obwohl der alte Südbahnhof  „alt, verwinkelt und finster“ war, hatte er für ihn sein eigenes Flair: „Böse Zungen bezeichnen den neuen Hauptbahnhof ja als Einkaufszentrum mit Gleisanbindung. Ich denk mir: Die 160.000 Reisenden, die hier täglich verkehren, wollen halt auch was essen, trinken und shoppen.“

Auf spezielle Bitte hin machte Michael nach der Eröffnung des neuen Hauptbahnhofes Führungen – zahlreiche Pensionist:innen- und Schüler:innengruppen haben durch ihn nicht nur Tipps zur Orientierung bekommen, sondern auch hinter die Kulissen – etwa in die 200 Meter langen Kollektorgänge – geblickt.

Der Abriss des Südbahnhofs ist nicht der einzige Umbruch in Michaels Berufsleben: Er erlebte Umstrukturierungen und zahlreiche technologische Veränderungen – vom Wählscheibentelefon hin zur Telefonanlage, vom mechanischen zum digitalen Stellwerk.

Mit Ende des Jahres 2025 wird Michael in den Ruhestand wechseln. Er, der sich „in 35 Jahren genau 400 Meter verändert hat“, zeigt keinerlei Angst vor dem Pensionsschock. Viel mehr bleibt zu hoffen, dass all jene Kolleg:innen, auf die seine Aufgaben aufgeteilt werden, keinen Schock bekommen – zwar lässt sich Wissen über Betriebsabläufe übergeben, aber der Mensch Michael wird fehlen.  

Beruhigend zu wissen, dass er – wie so viele andere pensionierte Eisenbahner:innen (hier sehen wir ihn mit seinem Vorgänger Herbert Kaiser vor dem legendären blauen Blitz) – regelmäßig im Falkensteiner Stüberl is(s)t und Geburtstage wie zuletzt seinen 60er feiert.

Und sicher auch seinen Abschied von den ÖBB!