Gleisgeschichten: Von der Geisterbahn zur Eisenbahn

31. 10. 2023

Das Geisterschloss im Wiener Prater ist die älteste Geisterbahn Österreichs und die zweitälteste weltweit. Was die Geisterbahn mit den ÖBB verbindet? Das erfahrt ihr hier.

Es ist ein regnerischer Herbsttag im Wiener Prater, als die bunten Lichter des Vergnügungsparks die Dämmerung durchbrechen. Dicke Tropfen rinnen dem blassgrünen Monster vor dem Geisterschloss von der Nase, während aus dem Inneren der zweistöckigen Geisterbahn eine Mischung aus Kreischen und Lachen ertönt. Das knallende Tor der Bahn, welche an eine Ritterburg erinnert, springt auf und die verschreckten Fahrgäste rollen mit ihren Wagen wieder in den Bahnhof ein.

„Ja, das heißt bei uns Bahnhof. Wir sind auch eine Bahn. Geisterbahn, das steckt ja schon im Namen drinnen“, lacht Katja Kolnhofer, die das Geisterschloss in der vierten Generation betreibt. „Wir sind die älteste Geisterbahn Österreichs und die zweitälteste der Welt“, verkündet sie stolz, während ihr Sohn Philipp Kolnhofer der Dritte ergänzt, dass es zwar nicht die älteste, aber definitiv die beste Geisterbahn sei.

Dynastie, der Praterclan

Sein Urgroßvater, Philipp Kolnhofer der Erste, hatte die Geisterbahn 1955 wieder errichtet, nachdem die allererste Bahn aus dem Jahr 1933 durch den zweiten Weltkrieg völlig zerstört wurde. Seither ist die Anlage im Großen und Ganzen gleichgeblieben und hat, trotz laufender Neuerungen, stets ihren ursprünglichen Charme bewahrt. Der sprechende Gorilla an der Außenseite des Geisterschlosses schreckt Kinder seit 1985, der Riesenvampir ist 1996 aufs Dach gezogen und das grüne Monster am Eck ist ein Überbleibsel von einem James Bond Dreh.

Auch Katja hat sich in ihrer Kindheit vor dem lebensgroßen Gorilla gefürchtet. Sie erzählt: „Ich bin eher ein Angsthaserl. Meine Eltern haben mit mir immer um den Block herumgehen müssen, weil ich beim Gorilla nicht vorbeigehen wollte.“ So hat sie die Geisterbahn eigentlich immer gemieden und auch so lange nicht betreten, bis ihre Mutter in Pension gegangen ist und sie nun an der Reihe war. „Ich habe mich so langsam mit den Figuren angefreundet und vom ‚thrill-level‘ ist es für mich auch noch annehmbar“, sagt sie verlegen.

Bei ihrem Sohn Philipp ging das etwas schneller: „Die Geisterbahn war das erste Fahrgeschäft, bei dem ich mich getraut habe. Damals war ich vier Jahre alt. Damit hat alles angefangen, aber angeschissen habe ich mich trotzdem“, erinnert er sich. Etwas mehr als 20 Jahre später hat er seine Berufung bei einer anderen Bahn gefunden.

Von Bahn zu Bahn

Im Erwachsenenalter angekommen führt Philipps Weg erneut zur Bahn. Als Leit- und Sicherheitstechniker in Gloggnitz kümmert er sich um Weichen, Stellwerke oder Signale der technischen Außenanlagen der ÖBB.

„Tatsächlich interessierte sich der Sohnemann schon immer für Züge, Technik und Geschwindigkeit und so hat es sich ergeben“, meint Katja. Ob die alte Geisterbahn als vollwertige Bahn anzuerkennen sei, darüber scheiden sich bei Mutter und Sohn ein wenig die Geister. Darüber, dass es Gemeinsamkeiten gibt, sind sie sich aber schon einig.

So wird das Geisterschloss seit jeher mechanisch betrieben und wie bei der Bahn fahren die Wagen auch auf Schiene, allerdings nur auf einer statt auf zwei Schienen.

Der Streckenverlauf ist seit dem Bau des Fahrgeschäfts immer gleichgeblieben. Zwar haben sich über die Jahre immer neuere Spukgestalten eingeschlichen, aber zwischendurch gibt es noch welche, die schon zu Urgroßvaters Zeiten diverse Fahrgäste in Angst und Schrecken versetzt haben. „Die Geisterbahn funktioniert Großteils noch analog,- die Vorrichtungen drinnen werden fast alle mechanisch ausgelöst. Es ist doch noch viel selbst gemacht und auch viel mit Holz gearbeitet worden. Das hat einfach Charme“, findet Philipp und ergänzt: „Es ist was Schönes und was Altes.“

Drei fürchterlich schöne schreckliche Minuten

Drei Minuten sind die Fahrgäste im Geisterschloss unterwegs, Gänsehaut und Schockmomente inklusive. Wo sich die Wagons von denen eines echten Zuges unterscheiden, ist, dass diese nicht aneinander zu koppeln sind – zum Leidwesen aller, die sich gerne als Gruppe in die Geisterbahn trauen würden. Im Gegenzug zu ihnen lassen sich die Senior:innen am schwersten erschrecken. „Die haben im Leben schon so viel mitgemacht, da ist eine Geisterbahn nichts mehr dagegen“, erklärt Katja.

Das Geisterschloss ist nach wie vor eine der Hauptattraktionen im Prater und begeistert bis heute sowohl Alt als auch Jung. Mit seiner langen Geschichte und der einzigartigen Atmosphäre ist es das ganze Jahr über ein beliebter Ort, um das Fürchten zu lernen. Vollbetrieb herrscht vor allem an Halloween. „Die Geisterbahn bietet sich hierfür sehr gut an. Da kommen die Leute so schön verkleidet an, dass ich sie fast fragen möchte, ob sie sich nicht in die Bahn dazustellen möchten“, witzelt die Betreiberin. Wer die Stoßzeiten umgehen möchte, sollte sich am frühen Abend, zur blauen Stunde, zur Bahn begeben. Der größte Andrang ist nämlich direkt nach dem Aufsperren am helllichten Tag. „Das ist bei allen Geisterbahnen so“, erklärt Katja. Ihre Theorie: „Vielleicht haben die Leute am Abend einfach weniger Mut und fürchten sich nach der Geisterbahnfahrt, sodass sie nicht gut schlafen können. Vielleicht aber brauchen sie in der Früh einfach einen Kick, wie einen starken Kaffee.“

Das Geisterschloss ist auch in den Wintermonaten geöffnet. Ganz stilsicher reist man mit der Eisenbahn zur Geisterbahn an, denn der Bahnhof Praterstern ist nur wenige Minuten vom schauerlichen Vergnügen entfernt.