Jaroslav, der Bahnliterat

12. 10. 2022

Wie ein verhinderter Eisenbahner zum Bestsellerautor wurde und der Bahn dabei treu blieb

Wenn Jaroslav Rudiš mit dem Zug fährt, kommt es gar nicht selten vor, dass Fans sich Bücher signieren lassen. Kein Wunder, denn der 50-Jährige ist einer der bekanntesten tschechischen Autoren und die Eisenbahn der Ort, wo er am liebsten an seinen Büchern schreibt.

„Meistens sitze ich im Speisewagen, hier hinten im Eck und frühstücke oder trinke ein Bier. Ich nutze den Zug nicht nur als Transportmittel, ich inspiriere mich hier. Manchmal, wenn ich gerade eine Schreibblockade habe, gehe ich zum Bahnhof, steige in einen Zug und alles kommt von allein. Wenn es dann richtig gut läuft, vergesse ich sogar schon mal aufs Aussteigen und fahre einfach weiter“, lacht er.

Sein neuestes Buch trägt den Titel „Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen“. Auf 224 Seiten finden sich hier allerlei spannende und unterhaltsame Geschichten rund um das Bahnfahren. Jaroslav widmet sich bekannten, wie auch völlig unbekannten Bahnstrecken zwischen Sizilien und Lappland, der Freude des Anschluss Verpassens, Eisenbahngöttern und natürlich von Bahnhöfen oder wie er sie nennt: den Kathedralen des Verkehrs. Er verwebt dabei die Historie der Eisenbahn mit den Geschichten der Menschen, denen er begegnet, wie ein Kritiker begeistert schreibt. Das Buch ist ein Bestseller und erfreut sich großer Beliebtheit unter Leser:innen.

© ÖBB / News on Video

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Der Bahngeschichtenerzähler

„Es ist meine Liebeserklärung an das Bahnfahren“ schwärmt Jaroslav. „Das meiste habe ich selbst auf meinen Bahnreisen erlebt. Manchmal erzählen mir aber auch andere Leute von ihren Erlebnissen und ich schreibe es auf. Ich bin ein Eisenbahngeschichtenerzähler. So sehe ich mich“ meint er und ergänzt: „Es gibt Kaffeehausliteraten, Kneipenliteraten – ich bin ein Eisenbahnliterat.“

Die Liebe zur Eisenbahn wurde Jaroslav bereits in die Wiege gelegt. Sein Großvater war Heizer und Weichensteller, sein Onkel Fahrdienstleiter und sein Cousin Lokführer. Und sicher wäre aus Jaroslav auch ein Eisenbahner geworden, wäre da nicht seine dicke Brille, denn in Tschechien waren zu viele Dioptrien seinerzeit ein Ausschlussgrund. Der Bahn ist er dennoch treu geblieben. In fast jedem seiner Werke finden sich Bezüge zur Eisenbahn. Trotzdem war es der Verlag, der gefragt hatte, ob er nicht ein Buch zu seinem Lieblingsthema schreiben möchte – der Rest ist wortwörtlich Geschichte.

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Eisenbahnmensch

„Durch meine Leidenschaft fürs Bahnfahren ist das Buch zu einem absoluten Herzensprojekt geworden“, erzählt Jaroslav.

„In Österreich mag ich die Mühlkreisbahn von Linz Urfahr bis Aigen-Schlägl besonders. Sie ist meine Lieblingslokalbahn. Einmal im Jahr, meist kurz vor Weihnachten, treffe ich mich hier mit meinem Freund Christian Thanhäuser und fahr gemeinsam mit ihm hoch in den Böhmerwald. Wir nehmen uns immer ein Buch von Adalbert Stifter mit gehen dann ein Bier trinken. Auch darüber habe ich in einem Kapitel in meinem Buch geschrieben.“

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Im Bann der Bahnzeit

„Manche Leute fragen mich, ob ich schon im Zug wohne“ lacht der Autor und gibt zu, dass sie nicht ganz unrecht haben. „Ich fahr gerne ruhig und entspannt Eisenbahn, aber manchmal lieb ich tatsächlich es exzessiv zu machen. Dann sitze ich fünf Tage im Zug und fahre einfach nur herum. Ich liebe diesen Zustand, in dem du auch nicht weißt, wo du gerade sein könntest. Du weißt, du bist irgendwo in Mitteleuropa, aber du weißt nicht, wo genau – oder ob es jetzt noch Montag oder schon Dienstag ist. Du fährst einfach nur Zug und lässt alles auf dich wirken – die Landschaft, die Städte, die Geschichten, die Zeitungsartikel, die Fahrgäste. Das ist ein ganz besonderes Erlebnis, aber irgendwann auch anstrengend.“

Man könnte noch viel über Jaroslav Rudiš und seine Bahnliebe schreiben, doch er selbst beschreibt seine Liebe zur Eisenbahn wohl immer noch am besten: Die „Gebrauchsanleitung fürs Zugreisen“ ist im Piper Verlag erschienen.

Wer Jaroslav auf Twitter unter @jaroslavrudis folgt, kann zudem an seinen aktuellen Bahnreisen teilhaben, im Geiste mitreisen und wer weiß – vielleicht sitzt man dann auch schon bald selbst in einem Zug quer durch Europa.

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