Täglich grüßt das Murmeltier

31. 10. 2019

Es ist vielleicht der schönste Arbeitsplatz Österreichs.

Eingebettet von den majestätischen Bergen der Ötztaler Alpen fährt Wolfgang Unterkircher seit rekordverdächtigen 24 Jahren die Postbuslinie 4232 von Prutz auf den Weißseeferner Gletscher. Die Endstation auf 2750m ist die höchste Postbushaltestelle Österreichs. Die Fahrt durch die einzigartige Naturlandschaft und das imposante Bergpanorama ringsum sind atemberaubend. Klar, dass Wolfgang mit niemanden tauschen würde.

Abenteuer Arbeit

„Es ist noch nie jemand solange im Kaunertal gefahren wie ich.“ erzählt er stolz hinter dem Lenkrad seines Postbusses und erinnert sich, wie er vor fast einem Vierteljahrhundert hier angefangen hat. „Manche haben mich gefragt, ob ich wahnsinnig geworden bin die Strecke zu fahren. Sie meinten, das ist zu gefährlich“ lacht er. Vorsichtig ist er aber trotzdem geblieben. Lawinen, die die Strasse unpassierbar machen, plötzliche Schneefälle, selbst wenn vor zehn Minuten noch die Sonne geschienen hat, all das gehört für Wolfgang zu seinem Arbeitsalltag. Mit seinem Postbus überwindet er auf 40 Kilometern Streckenlänge den beachtlichen Höhenunterschied von 1920 m. Die meiste Zeit fährt er dabei durch hochalpines Gebiet. Während in Frühling und Sommer an der ersten Station in Prutz in der Nähe von Landeck alles grün und blüht liegt das Ziel der Strecke im ewigen Schnee und Eis. Und das Wetter ändert sich rasend schnell hier am Berg. Schneeketten sind daher immer dabei.
„Es kommt schon vor, dass ich im Sommer auch Schneeketten anlege. Da könnte ich Geschichten erzählen. Von den PKW-Fahrern, die nicht mal im Winter mit Schneeketten hier hinauffahren. Und da muss ich dann irgendwie mit dem Bus vorbei kommen. Brutal!“ Wobei, es gibt wenig Stellen, wo Autos und Bus aneinander passieren können. „Es ist halt kein Tag wie jeder andere“, sinniert Wolfgang und lenkt souverän den Bus am nahen Abgrund vorbei.

Hoch hinaus

Der Postbus hat im Kaunertal Tradition. Bereits in den 30er Jahren war ein Ausflug mit dem Postauto zum Gepatschhaus eine Touristenattraktion. Seit 1932 gab es eine Postbuslinie von Feichten bis zum Gepatschhaus, die damals über geschotterte Almwege und Wiesen führte. Von 1979 bis 1980 wurde die Kaunertaler Gletscherstraße vom Stausee bis hinauf zum Gletscherrestaurant auf 2750 m ausgebaut, um das Gletscherskigebiet zugänglich zu machen. Seit dieser Zeit fährt auch der Postbus ganz nach oben.
Und der Weg hat es in sich. Schon ab den Gepatschstausee wird der Weg immer schmaler. Beim sogenannten Schnapsloch beginnen die vielen Kehren. So heißen die Haarnadelkurven, die sich hier auf den Berg schlängeln. Insgesamt 29 Kehren sind es, bei einer Steigung von fast 13%. „Hier muss man höllisch aufpassen, denn im Winter liegen die Kehren im Schatten. Und dann vereist es. Ohne Ketten hast du da keine Chance“. Sind die Serpentinen geschafft geht es noch ein gutes Stück bergauf. Ab hier hat man schon einen guten Blick auf die Gipfel. Nach rund 70 Minuten ist man oben angekommen. Hier liegt das Skigebiet des Kaunertaler Gletschers, das rund ums Jahr Schifahrer und Wanderer anlockt. Für Wolfgang Unterkircher bleibt Zeit für eine kleine Pause, dann geht es laut Fahrplan wieder zurück ins Tal. An einem Tag fährt er insgesamt zweimal rauf und runter. Zusammengerechnet ist das ein Höhenunterschied von rund 10.000 Meter.

Natur pur

Bei all den Herausforderungen der Strecke, kommt es immer wieder zu faszinierenden Naturbeobachtungen, die der Postbuslenker hier macht. „ Murmeltiere sehe ich fast täglich, auch Gämsen und Steinböcke immer wieder. Erst letzte Woche habe ich einen Bartgeier gesehen, zum ersten Mal hier gleich beim Stausee. Ich bin halt so ein Naturbursche, es gefällt mir einfach.“ meint er und erzählt von einer Wolfssichtung, die es hier vor kurzem gegeben haben soll. Leider nicht von ihm selbst, aber was nicht ist kann ja noch werden. Die kleinen und großen Naturwunder hier begeistern ihn auch nach 24 Jahren.
„ Die Stadt wäre nix für mich. Ich habe zwar schon einige Angebote für andere Strecken gehabt, aber das ist nix für mich.“ meint er und möchte bis zu seiner Pensionierung der Strecke treu bleiben. Denn seine Arbeit bliebt jeden Tag aufs Neue faszinierend. Nur seinen Urlaub verbringt er nicht in den Bergen. „ Ich habe das ganze Jahr Schnee und Berge. Daher verbringe ich den Urlaub gerne am Meer. Dieses Jahr war ich mit meiner Frau in Jesolo."

Warum man sein Auto stehen lassen sollte und lieber mit dem Postbus fahren sollte, verrät er uns hier. „5 Fragen – 5 Antworten. Mit Wolfgang Unterkircher".

Übrigens: Ihr kennt jemanden, der eine tolle “Gleisgeschichte” zu erzählen hat? Es muss auch nicht immer eine Geschichte auf Schienen sein. Dann meldet euch per Mail an social-media@oebb.at