Die letzte Gotthard-Lok: die Re 6/6 der SBB

31. 03. 2017

Mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels ist auch die Bedeutung der Bestandsstrecke über das Gotthard-Massiv gesunken. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) haben schon seit jeher spezielle Lokomotiven für diese Alpentransversale beschafft. Die neue Flachbahn bringt  nun viele Änderungen in der Flottenstrategie. Daher widmen wir uns heute den „letzten wahrhaftigen Gotthard Lokomotiven“.

Steilrampen. Allen Gebirgsstrecken ist gemein, dass sie über besonders steile Rampenstrecken verfügen. Sind diese Rampen für Fahrradfahrer oder Autos nur kleine Hindernisse, so bedeuten diese Strecken für die Eisenbahn besondere betriebliche Herausforderungen. Die Gotthardbahn selbst weist auf beiden Steilrampen eine Höchstneigung von rund 28 Promille auf (auf „PKW-Deutsch“ 2,8 Prozent) und erfordert damit besonders leistungsfähige Lokomotiven.

Foto:(c) Erich Naehrer

Anders als in Österreich wurden speziell für die Anforderungen für diesen Alpenübergang eigene Lokomotiven gebaut. Als „Gotthardlokomotiven“ erlangten sie allergrößte Ehre unter allen EisenbahnerInnen und Fans. Die bekanntesten Sprösse dieser Familie sind natürlich die Schweizer Krokodile. Heute widmen wir uns der „jüngsten Lok“, der Re 6/6, deren erstes Fahrzeug bereits 1972, also vor rund 45 Jahren, auf die Schienen rollte.

Insgesamt 89 Fahrzeuge wurden bis 1980 gebaut. Nach dem Schema der Schweizerischen Bundesbahnen wurden die Fahrzeuge als Re 6/6 bezeichnet und sukzessive in den Dienst gestellt wurden. Sie lösten im Wesentlichen die älteren Ae 6/6 ab und begannen den schweren Bergstreckenverkehr zu dominieren. Besonders spannend ist dabei, dass in der Geschichte der Bergstrecke alle Gotthardlokomotiven nahezu vollständig von einer neuen Generation von Lokomotiven abgelöst wurden.

Foto:(c) Erich Naehrer

Die Re 6/6 sind bis heute ein besonderes „Schwergewicht“, sowohl in puncto Leistung, als auch in ihrer Konstruktion. Während in Italien die verschiedensten schweren Lokomotivbauarten seit Jahrzehnten mit drei Drehgestellen konstruiert wurden, kam man in der Schweiz erst zu Beginn der 1970er Jahre auf die Idee, die Achsfolge Bo’Bo’Bo‘ (drei Drehgestelle mit je zwei angetrieben Achsen) einzusetzen. Im Gegensatz zur Co’Co‘-Lok, also einem Fahrzeug mit zwei Drehgestellen mit je drei angetriebenen Achsen, erwartete man sich eine wesentlich bessere Laufdynamik in engen Bögen.

Sechsachser versus Vierachser

Gerade auf Gebirgsstrecken wurde damals der Einsatz von sechsachsigen Lokomotiven immer problematischer. Die Drehgestellbauarten wurden zunehmend zu einem Problem in der Fahrdynamik und für die Infrastruktur. In Italien wurden die Sektionslokomotiven mit drei Drehgestellen zum Standard. Das erklärte Ziel war (und ist) die Fahrdynamik in Kurven zu verbessern und den Verschleiß bei den Schienen und Radscheiben zu verringern. Auch in der Schweiz versuchte man dieses Arrangement zu etablieren und man hatte von Anfang an Erfolg.

Die Maschinen wurden von den Re 4/4 weiterentwickelt und mit einem weiteren Drehgestell zur Re 6/6 ausgestattet. Zwei der Prototypen erhielten sogar einen geteilten Lokkasten, auf den bei der nachfolgenden Serienbeschaffung verzichtet wurde. Außerdem verfügen die Maschinen über zwei Trafos. Das Ziel war, die aus den 1950er Jahren stammende Flotte der Ae 6/6 zu ergänzen und später zu ersetzen.

Aus der Re 6/6 wird die Re 10/10

In der weiteren Entwicklung „mutierten“ die mittlerweile altehrwürdigen Re 6/6 zur Re 10/10. Dies erfolgte damit, dass man als Verstärkung eine Re 4/4 im Tandem in Vielfachsteuerung dazu kuppelte. Damit wurden Tandems geschaffen, die besonders schwere Güterzüge über die Rampen des Gotthards als auch der Simplonstrecke führen. Bis heute sind diese Formationen unverzichtbar für die Schweizerischen Bundesbahnen.

Foto:(c) Erich Naehrer

Der Gotthard Basistunnel

Der derzeit längste Tunnel der Welt mit einer Länge von 57 Kilometern brachte auch eine Zäsur für die stärksten Lokomotiven der Schweiz. Die „Flachbahn“ benötigt nicht mehr die Kraft der 45 Jahre alten Sechsachser. Vor Kurzem wurde entschieden, etwa die Hälfte der gebauten Maschinen für den Betrieb weiter zu erhalten. Dazu sollten die entsprechenden Fahrzeuge ein umfangreiches Refurbishment durchlaufen.

Dennoch, wenn jemand die „Königinnen“ der normalspurigen Schweizer Bergstrecken erleben will, sei Eile geboten, denn mit einem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst ist in den nächsten Jahren zu rechnen.

Fact Box

Baujahre: 1972-1980
Leistung: 7.237 kW
Geschwindigkeit: 140 km/h
Gewicht: 120 t
Achsfolge: Bo’Bo’Bo‘
Stückzahl: 89