Das Modell und die Eisenbahner

09. 11. 2020

Eine Modelleisenbahn in der Kindheit zu erleben ist oft der Anfang einer lebenslangen innigen Liebe zur Eisenbahn.

Viele unsere Gleisgeschichten haben so begonnen und die zahlreichen Eisenbahnminiaturwelten auf der ganzen Welt erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit bei jung und alt.

Die Anlage des Modeleisenbahnvereins in der Eisenbahnerstadt Knittelfeld ist dabei in vielerlei Hinsicht herausragend.

Die Bahn im Bahnhofskeller

Der Standort der Anlage könnte nicht passender sein. Direkt im Bahnhofsgebäude, gleich neben der Tür zum Bahnhofsrestaurant geht es einige Stufen hinunter in den Keller. Unten angelangt traut der Erstbesucher seinen Augen nicht. In einem langgezogenen großen Raum breitet sich auf 160 m² die unglaublich detailreiche und hyperrealistische Modellbauanlage im klassischen H0 aus. So wirklichkeitsgetreu, dass man bei der Betrachtung der Miniwelt immer wieder vergisst, sich in einem Bahnhofskeller zu befinden. Wenn nicht gerade der echte große Zug lautstark über den Raum rollt und kurz die Illusion stört.

„Das war einmal eine Kegelbahn“ lacht Ingo Menzinger, pensionierter Triebfahrzeugführer der ÖBB, der zusammen mit einem Kollegen 1968 die Anlage gegründet hat. „Und jetzt bin ich schon gute 50 Jahre im Keller und wenn man mit so etwas angefangen hat, kommt nicht mehr weg.“ scherzt er und erzählt von den Anfängen, die sich vom heutigen Aussehen und Technikstand doch sehr unterschieden haben.

„Wir haben am Anfang noch selbst Steuerungen gebaut, aus Postrelais, und selbstgebaute Stellwerke. Die Hintergründe waren gemalen und wir hatten nur 20m² in der ersten Baustufe.“ Die Anlage wurde im Herbst 1972 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Interesse war überwältigend und motivierte für den weiteren Ausbau. In den darauffolgenden Jahren weiter vergrößert und die Gleislänge auf 150 Meter erweitert.

180.000 Arbeitsstunden in über 50 Jahren

Heute, nach geschätzten 180.000 Arbeitsstunden, verteilt auf etwas mehr als 50 Jahre, sind auf 700m Gleis rund 500 Lokomotiven und 2.000 Waggons computergesteuert im Einsatz.

Es gibt selbstverständlich einen Tag-Nachtmodus, fotorealistische Hintergründe, verschiedene Landschaften, die wie ein Idealbild der Steiermark wirken, und natürlich unterschiedliche Bahnhöfe.

Das Spektrum reicht dabei von einfachen Durchgangsbahnhöfen, über einen Verschiebebahnhof mit funktionsfähigem Abrollberg, bis zu einem Hauptbahnhof mit Wagenwaschanlage. 190 Weichen, 9 Bahnhöfe, davon 4 für die integrierte Schmalspurbahn und 280 Signale sorgen für einen originalgetreuen Eisenbahnbetrieb. Etwas, was den Vereinmitgliedern, unter denen sich nach wie vor viele ÖBBler befinden, ganz wichtig ist. Denn es geht ihnen nicht nur um ein authentisches Aussehen der Modellanlage. „Die Anlage ist zu hundert Prozent auf realistischen Bahnbetrieb ausgelegt, Fahrdienstleitertätigkeiten können hier eins zu eins ausgeführt werden.“ erzählt Hannes Eckstein stolz, der Mitglied im Verein ist, seitdem er 16 ist.

Ganz nah am Original spielerisch Lernen

„Ich habe mein Praktikum schon vorher gemacht, bevor ich bei der ÖBB war.“ freut sich Dominik Riedl, Triebfahrzeugführer in Ausbildung, der zu der jüngsten Generation im Verein gehört. „Ich habe Sachen schon vorher durch die Modellbauanlage gekannt. Sämtliche betriebliche Abläufe kann man da wunderbar nachstellen, ohne großen Schaden anzurichten.“ meint er, während er vom Fahrdienstleiter-Arbeitsplatz die Zugfolgen regelt. Er ist gerade dabei, sein Hobby zum Beruf zu machen. Etwas, was seinen Kollegen Daniel Schröck schon gelungen ist. Er ist als Triebfahrzeugführer mit den großen ÖBB-Loks unterwegs. Mit der Modellbahn machen beide aber auf jeden Fall weiter, soviel Eisenbahn muss sein.

Kleine Welt, ganz Groß

Mittlerweile wird es Nacht auf der Anlage. Die Scheinwerfer der Lokomotiven durchschneiden die abendliche Stimmung. Autos ziehen ihre Runden, Fahrgäste schauen aus den beleuchteten Waggons. Es gibt sogar einen Feuerwehreinsatz.

Güterzüge fahren bei einem Kürbisfeld vorbei. Immer neue Züge kommen aus den Tunnels oder fahren in die Bahnhöfe ein. Und bringen dabei nicht nur Kinderaugen zum leuchten. Vielleicht beginnt so eine neue Liebe zur Eisenbahn. Und eine neue Gleisgeschichte.

Es gibt normalerweise Publikumstage, wo man sich selbst ein Bild der Anlage machen kann. Durch die Covid19-Situation kann man die Modellbahn allerdings im Moment nur virtuell besuchen. Der YouTube Channel des Vereins ist definitiv sehenswert, das Video des Abrollbergbetriebs hat mehr als eine halbe Million Views.

Übrigens: Ihr kennt jemanden, der eine tolle “Gleisgeschichte” zu erzählen hat? Dann meldet euch per Mail an social-media@oebb.at

Fotos: ÖBB / Viola Jagl