Gleisgeschichte: In Wolkersdorf macht Modellbahn Schule
24. 10. 2024
Modellbahnbauen statt am Handy hängen? Ja das geht! In der NÖMS 1 Wolkersdorf sorgt eine unverbindliche Übung für bleibende Eisenbahnliebe.
24. 10. 2024
Modellbahnbauen statt am Handy hängen? Ja das geht! In der NÖMS 1 Wolkersdorf sorgt eine unverbindliche Übung für bleibende Eisenbahnliebe.
Die weiße Schrift auf blauem Grund, ganz in Bahnhofsschildoptik gehalten, stellt klar: Hier befindet man sich in der „NÖMS 1 Wolkersdorf“, also in der Niederösterreichischen Mittelschule 1 Wolkersdorf. Links geht es zu den Gleisen oder besser gesagt zur Ausstellung von 80 Modellbahnmodulen, die auf 70 Metern quer durch den Turnsaal aufgebaut sind. Gleich rechter Hand befindet sich die Fahrdienstleitung, also das Lehrer:innenzimmer. Vis-à-vis sind die Räumlichkeiten des Wagenmeisters, auch Schulwart genannt. In der Aula kann man auf (echten) Zugbänken Platz nehmen und aus (gemalten) Zugfenstern in bunte Landschaften blicken.
Treibende Kraft dahinter ist Christoph Lehner. Er unterrichtet Mathematik sowie Musik und leitet die unverbindliche Übung „Modellbahn-Modulbau“. Was vor 18 Jahren mit zehn Schüler:innen begann, bringt mittlerweile 30 Kinder pro Schuljahr dazu, 4 Stunden im Monat in Sechsergruppen an ihrem Modellbahnmodul zu bauen – mit der Option auf freiwillige Zusatzeinheiten an Samstagen. Unterstützung kommt vom Verein „Schmalspur Modulbaugruppe“, hauptsächlich in Persona Chrisu Kainz, sowie von Franz Neuberger – einem ehemaligen Lehrer an der Schule.
„Jedes Kind arbeitet zwei Jahre an einem Modul, wobei immer vier der je 75 x 50 cm großen Teile zueinander passen sollten. Wir beginnen mit Theorie, also Maßstabumrechnungen, Werkzeugkunde und auch so mancher Ausflug an Bahnhöfe und stillgelegte Strecken ist dabei. Dann folgen erste Gestaltungsideen“, erzählt Christoph. Der Kreativität sind dabei (fast) keine Grenzen gesetzt. „Wir müssen sie eher in ihrem Ideenreichtum bremsen“, schmunzelt der Lehrer und schildert weiter: „Es sollten schon realistische Welten sein, wobei wir auch schon eine Ufo-Landung hatten.“ Der Großteil orientiert sich an existierenden Gebäuden und Leidenschaften: So baute Emilia den Weinkeller ihrer Großeltern nach, Marcel seinen Heimatbahnhof Großenergsdorf, Porschefan Jonas legte großen Wert auf die bereiften Nebendarsteller und Julian, der später zum Militär möchte, baute einen Hubschrauberabsturz ein. So unterschiedlich die Module, so gleich die Motivation: Alle finden es großartig, weg vom Handy, hin zum Handwerk zu kommen und selbstständig im Kreis von Freund:innen arbeiten zu können.
Die Reize des Freifaches machen die Runde und beeinflussen so manche Schulentscheidung. Einige, wie etwa Elena, hätte eigentlich auch ins Gymnasium gehen können, entschied sich dann jedoch aufgrund des Modellbahnbau-Freifachs für die NÖMS 1 in Wolkersdorf. Elenas Leidenschaft ist übrigens das Bemalen der klitzekleinen Figuren. Es sind Figuren wie das sich am Hochstand küssende Pärchen, eine Geisha auf einer Brücke oder ein Eichhörnchen im Baum, die das Leben auf den Modellbahnstrecken ausmachen. Hinter jedem der unzähligen Details steckt vor allem eines: Handarbeit. Dafür braucht es eine Menge Fingerspitzengefühl, Feinmotorik und vor allem Geduld. „Wobei sie in den anderen Unterrichtsfächern selten bis nie so geduldig sind wie in diesem Freifach“, erzählt Christoph.
Und so kann man Teenies dabei beobachten, wie sie mit einer Engelsgeduld winzig kleine Lupinenhalme zusammenfügen und mit der Pinzette Graslandschaften formen. Und „nebenbei“ kommt es vor, dass eine ausrangierte Signalanlage neu programmiert wird – dass die Signalfolgen danach wieder realitätsgetreu funktionieren, versteht sich dabei ebenso von selbst, wie dass alle Gleise gestellt sind, sobald die Module aufgebaut wurden.
„Wir arbeiten hier im Kleinen für die große Bahn“, sagt Christoph und stellt als lebenden Beweis Marcel Wanke vor: Sein ehemaliger Schüler machte mit Auszeichnung eine Lehre bei den ÖBB in der Anlagen- und Betriebstechnik und tritt demnächst die Ausbildung zum Triebfahrzeugführer an. Marcel schaut in seiner Freizeit häufig an der Schule vorbei und bastelt weiter. So wie er, lassen die meisten Schüler:innen ihr Modul am Ende der Schulzeit zurück und sehen es sich bei den alle zwei Jahre stattfindenden Ausstellungen an. Die nächste wird es aller Voraussicht nach im Mai 2026* geben – da gilt es dann, 20 Jahre Modellbahnbau zu feiern. Ob der Turnsaal als Ausstellungsfläche noch reichen wird, muss sich weisen. Christoph und seinen Schüler:innen wird sicher etwas einfallen damit es heißen kann: Bahn frei!
Ein besonderes Dankeschön an dieser Stelle an den Direktor der Schule, Ewald Kühnert, aka „Bahnhofsvorstand“.
*Tipp: Ein Großteil der Module wird bei den Modellbautagen in Tulln vom 25. bis 27. April 2025 zu besichtigen sein.